Christiane Lischka-Seitz, Kunsthistorikerin
Pinkfarbene Kleckse auf hellem Grund, ein flacher rechteckiger Körper, mittig von gleichfarbigem Garn umwickelt; ein Faden, im spitzen Winkel über die Wicklung geführt, ein Knötchen, ein kleines Fädchen am Rand. Details - aber entscheidend.
Ein Päckchen Urlaubsfotos, mit Farbe „versiegelt“, scheinbar lässig mit hellgrünen Kunststoffschnüren umwunden. Verschlungene Pfade. Zwei aufgefächerte Seilenden geben ihr orangerotes Innenleben wie Blüten preis, was für ein Ereignis!
Metallspangen umgreifen einen Korpus aus Holz, umspannen ihn mit einem braunen Gurt. Diagonale Parallelen. Kerben und fahle Spuren von Farbe am oberen und unteren
Rand zeugen von einem „Vorleben“ des Holzkörpers. Zwei Gegenstände sind miteinander verbunden. Ein kraftvolles Werk.
Ein Kunststoffband verbindet hochrechteckige Spanplatten mit einem Rundstab aus Metall. In der Mitte kreuzt das Band. Eindringlich und kompakt ist diese „Grüne Unendlichkeit“.
Material, Farbe und Form im Dialog. Licht und Schatten.
Beate Baberske setzt wenige Mittel ein, ihre Formensprache ist konzentriert.
Nicht zu viel, nicht zu wenig. Punktlandungen.
Diese sind umso faszinierender, weil Beate Baberskes Werke auf den ersten Blick so einfach und klar, manchmal sogar experimentell oder spontan wirken. Jedes Objekt
fesselt durch präzise ermittelte Proportionen und eine feine Balance der Elemente zueinander.
Die Objekte von Beate Baberske bestehen meist aus zwei bis drei Elementen. Neben Garnen, Glas, Holz, Kunststoff, Metall, Pappe und verschiedensten Textilien setzt die Künstlerin auch Gebrauchsgegenstände in ihren Werken ein. Allein deren ureigenste Qualitäten, ihre Formen, Oberflächentexturen und Farben senden eine Fülle visueller und taktiler Informationen aus. Nicht, dass sie eine reale Berührung einfordern würden, nein, es ist vielmehr das visuelle Abtasten der Materialien und deren Texturen, das die spannungsreichen Kombinationen von Werkstoffen geradezu provozieren.
Wird Holz eingesetzt, lesen wir Strukturen des natürlich Gewachsenen, seiner Bearbeitung und, wie häufig im Werk von Beate Baberske, Spuren eines früheren
Gebrauchs. Die Vorliebe der Künstlerin für Gegenstände, die Spuren eines vormaligen „Lebens“ aufweisen, prägt viele ihrer Arbeiten. Einige Elemente, die nun Bestandteil eines Kunstobjekt geworden
sind, wurden früher in alltäglichen Zusammenhängen eingesetzt. Besonders offensichtlich ist das bei industriell gefertigten Produkten wie Metallstäben, Spanplatten oder Spanngurten. Zweifelsohne
zeichnen auch sie sich durch eine Reihe formaler Qualitäten aus.
Zudem wird mit der Verwendung alltäglicher Gegenstände noch eine weitere Ebene angesprochen: Je nach persönlicher Erfahrung des Betrachters, schwingt der frühere
Kontext der Gegenstände unterschiedlich stark mit. Wozu wurden jene Gegenstände verwendet, wann, von wem? Wie ist das Material konnotiert? Handelt es sich um Ware „von der Stange“ oder wurde das
Material manuell bearbeitet und handwerklich eingesetzt?
Aber mehr noch als der ursprüngliche Kontext werden persönliche Erfahrungen und Erinnerungen des Betrachters, die von einem Gegenstand oder Material evoziert
werden, angesprochen. Was löst der Anblick einer Spanplattenoberfläche, eines Seils, eines Holzrundstabs aus? Weckt er persönliche Erinnerungen an ausrangierte Möbel, ans Bergsteigen, an
Großmutters Küche? Sind damit Assoziationen und Gefühle verbunden, die zwar nichts mit der Situation in der Ausstellung zu tun haben, aber als persönlicher „Subtext“, individuell höchst
unterschiedlich und für jeden von uns dennoch präsent, beim Betrachten mitschwingt? Fragen Beate Baberskes Werke nach unseren eigenen Erfahrungen, Erinnerungen, nach unserer eigenen
Geschichte?
Aber selbst wenn dem so ist, sind solche Überlegungen oder der ursprüngliche Kontext einzelner Elemente für die Rezeption der Werke von Beate Baberske überhaupt
bedeutsam?
Denn eines ist offensichtlich: Diese Objekte bestehen für sich. Kraft ihrer Präsenz treten wir unwillkürlich in Dialog mit ihnen. Aber dieses auf den ersten Blick
so schlüssige, logische Erscheinungsbild - dieser erste Impuls, man habe sofort durchdrungen was „hier los sei“ verflüchtigt sich rasch. Sofort ist da mehr spürbar, als die schlüssige, pointierte
Verbindung von Elementen und Formen.
Unmittelbare, unwillkürliche Interaktionen: Taktile Informationen wie warm und kalt, weich oder rau, an sich gegenläufige Informationen „feuern“, nicht
selten sogar gleichzeitig, sehr schnell und appellieren direkt an unser sinnliches Wahrnehmen.
Ein Eindruck, der sich nochmals intensiviert, wenn Beate Baberske Garne, Wolle, Schnüre oder Textilien (wie Seide) einsetzt, die uns von unserer Kleidung zutiefst
vertraut sind. Wir kennen den Kontakt auf unserer Haut, suchen wir doch stets den Schutz textiler Hüllen. Ohne sie fühlten wir uns nicht geborgen, würden gesellschaftlichen Konventionen kaum
genügen und könnten dem eigenen Befinden und unserer Persönlichkeit weniger Ausdruck verleihen.
Aber berührt nicht allein schon das Betrachten der Werke von Beate Baberske auch andere Schichten?
Ein „Motiv“ taucht in unterschiedlichen Variationen häufiger auf. Ein hochrechteckiger Körper, der mit einem dahinter liegenden Stab im rechten Winkel verbunden ist. Klare, starke Arbeiten. Die Künstlerin verbindet die Elemente indem sie beide Gegenstände mit Seilen, Schnüren, Bändern oder Fäden umwickelt. Durch die mehrfachen Überlagerungen der Wicklung entstehen Schichten, die dem an sich wenig plastischen Material eines Fadens, Garns oder einer Schnur nun als drittes Element nicht nur grafische Präsenz, sondern auch räumliche Tiefe verleihen.
Diese Werke lösen unmittelbare Empfindungen aus. KÖRPERNAH: Bin ich das Brett, die Stange, das Seil? Aber woher kommt dieser Bezug zum eigenen Körper? Ist die
Ursache in der Gewichtung der Massen begründet? Der Gedanke an Kreuzigungsdarstellungen oder an eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium drängt sich auf:
Josef (von Arimathäa) nahm ihn und hüllte ihn in ein reines Leintuch, dann legte er ihn in ein neues Grab, das er für sich selbst in einen Felsen hatte
hauen lassen. Mt, 27, 59-60
Eine Reihe von Emotionen und Assoziationen schließen sich an: Leid, Trost, Geborgenheit, Mitgefühl, umhüllen, umfangen, umschlingen, umspannen, umwickeln,
einwickeln.
Und so taucht man in die Werke von Beate Baberske ein, wechselt vom Betrachten zum Fühlen, pendelt von der intuitiven Wahrnehmung wieder zurück, zum analytischen
Erforschen.
Es ist, als wechselte man Seiten, Körper und Perspektiven. Man folgt Spuren von Farbe und Fäden, von Maserungen und Texturen, als würde man ein unbekanntes Terrain
erkunden. Wir ertasten Topografien, folgen Linien wie Pfaden, die manchmal zur Umkehr und Neuanfängen zwingen. Wir empfinden durchaus ambivalent: Überraschung, Freude, Geborgenheit, Spannung oder
Beklemmung. Wir sehen Dinge, die wir schon immer gesehen haben. Sie sind es wert gesehen zu werden, wieder gesehen zu werden, neu gesehen zu werden.
„interessiert mich nicht“
Aaah … - wie bitte?
Dafür ist das erstaunlich gut, was hier „farbtechnisch“ passiert. Zu gut.
Erstaunlich war eine Aussage von Beate Baberske, dass sie jetzt (endlich) wüsste, welches Verhältnis sie zur Farbe habe. Ihr Fazit: Eigentlich interessiere sie
Farbe selbst eher weniger, es seien vielmehr die Möglichkeiten des Farbauftrags.
Dass die Plastizität und die Konsistenz trockener Farbe, die satte Glätte, aber auch das Spröde oder Rissige, das Farben annehmen können, einen starken Reiz auf die
Künstlerin ausübt, erschien nach der Beschäftigung mit ihren Werken evident, aber dass sie Farbe selbst weniger interessiert? Das lässt insofern stutzen, als gerade Beate Baberskes Umgang mit
Farbe überaus stimmig und inspirierend ist.
Über eine ihrer Arbeiten, der Großen Wicklung „Again and again“ (Leinwand, verschiedene Fäden, Wolle, Seile, Farbe, 44x120x15 cm) schreibt die Künstlerin
zum Thema Farbe:
Ich hab mich an ihr ziemlich abgearbeitet, weil ich für mich klären musste, was ich von der Farbe will. Fazit: Das Malen interessiert mich nicht, eher die Farbe
als Material und die Spuren, die sie hinterlässt. Die Leinwand unter den Wicklungen ist rot bemalt, die oberste Schnur war schon mal da, ich habe sie übermalt mit Gelb, dann wieder abgenommen und
am Schluss wieder an der alten Stelle montiert.
Das Rot ist meine Lieblingsfarbe, ich bin ja Widder und der Wintertyp bei Kleidung. Aber Rot ist für mich auch Liebe. Darüber die Schichten des Lebens in
Schwarz, jede Windung ein Tag, mal leicht und fein, dann wieder dick und schwer. Am Ende die rote, von früheren Ereignissen gezeichnete Schnur, die alles zusammenhält und dazu keinen starren
Knoten braucht. (Beate Baberske)
Durch ihr Studium der Angewandten Kunst in Schneeberg, ihre alltägliche künstlerische Praxis, ihre Lehrtätigkeit an der Fachoberschule für Gestaltung am Löhe Campus
sowie ihre künstlerische Arbeit ist ihr der Umgang mit Farbe, deren Wirkung und Rezeption so sehr vertraut, ist die Künstlerin so „farbsicher“, dass sie eine Entscheidung für diese oder jene
Farbe äußerst routiniert trifft.
Sofern es sich nicht um die Eigenfarbe des Materials bzw. um die des industriell bereits gefärbten Garns, Fadens oder Wolle handelt, sondern um Farbe, die von der
Künstlerin aufgetragen wird, spielt nicht nur der gewählte Farbton, sondern auch die Art und Weise des Farbauftrags, ihre Konsistenz, Textur und Plastizität eine eminent wichtige Rolle.
Getrocknete Farbspuren können feine Rillen und Krater bilden. Sie können mit ihrem Licht- und Schattenspiel das Motiv der straff gespannten, partiell übermalten
Fäden, feiner und zarter machen, sie können es unterbrechen aber auch wiederholen und verstärken. Ihre Texturen lenken den Blick auf Nuancen und bereichern das Erscheinungsbild eines Objekts.
Folgt man ihnen, ist es, als würde sich der Blick vertiefen und das Umfeld ausgeblendet. Schritt für Schritt durchwandert das Auge einen Mikrokosmos im Makromodus um weitere Entdeckungen zu
machen. Es ist, als würde ein einziger Ton auf einer japanischen Bambusrohrflöte ertönen, der in seiner Vielschichtigkeit einen ganzen Kosmos in sich birgt.
Die Art und Weise wie Beate Baberske die einzelnen Elemente ihrer Werke mit Fäden, Schnüren oder Bändern verbindet, ist überaus variantenreich. Ihre Wicklungen und
Schnürungen können verblüffend einfach, machmal denkbar virtuos, des öfteren nicht gerade leicht zu durchschauen und hochkomplex sein. Das trifft sowohl bei kleinsten Formaten von gerade einmal 6
cm x 15 cm aber auch bei wand- und raumgreifenden Objekten zu.
Besonders deutlich wird das in den Faltungen: In dieser Werkgruppe webt die Künstlerin kleine Quadrate von 2 x 2 cm aus Pappe, Metall oder Kunststoff in
textile Bahnen ein. Die Größe ihres Webstuhls definiert die maximale Breite des späteren Werks, während die Länge dieser Arbeiten theoretisch beliebig ist. Sobald die Künstlerin das zunächst
flächige Textil zusammen schiebt, falten sich Bahnen paarweise nach oben und bilden ein plastisches Ornament. Durch die spezielle Technik der gewebten Verbindungen weisen die Faltungen eine hohe
Flexibilität auf. Andererseits gewährleistet die Starrheit der eingearbeiteten quadratischen Metall-, Glas- oder Kunststoffplättchen stets ein gleichbleibendes Raster.
„Wechselt“ Baberske die Faltung indem sie beispielsweise eine leichte Krümmung formt, bilden sich neue Strukturen (siehe Video).
Die Form der Faltung intensiviert sich durch die vervielfachende Wiederholung der miteinander verwobenen Reihen. So entstehen Kaskaden, die ein Thema in Nuancen wiederholen, es forcieren, intensivieren, zelebrieren. Plastische wiederkehrende Strukturen erinnern an Felder, die sich wie kleine Terrassen an Berghänge schmiegen, an Schichtungen in Felsgesteinen und hinsichtlich ihrer Beweglichkeit an Schuppenpanzer von Reptilien.
Auch hier lenkt die Wiederholung den Blick auf Details: Auf jene Stellen, an denen die Faltung umbricht, wie an Scharnieren die Richtung wechselt. Man bemerkt
kleine Abweichungen und Unregelmäßigkeiten innerhalb der Ordnung, kleine Verjüngungen oder Verdickungen im Garn, Farbnuancen. Wechselt der Lichteinfall, erscheint ein und dieselbe Faltung mal
flächiger, mal plastischer. Sind Metallplättchen in das semitransparente Gewebe eingearbeitet, wird das Licht in unterschiedlichen Winkeln reflektiert, so dass ein diffuses Funkeln
entsteht.
So kreiert die Künstlerin mit einer einzigartigen handwerklichen Technik anspruchsvolle Materialverbindungen. Gerade durch die fortwährende Wiederholung des
quadratischen Rasters, das sich einer übergeordneten Formgebung anpassen kann, werden wir auch der Phänomene gewahr, die außerhalb des Werks liegen, es aber dennoch beeinflussen, sei es die
Beleuchtungssituation oder die Atmosphäre im Raum.
Obwohl die Technik nicht vergleichbar ist, erinnern die Faltungen von Beate Baberske an die Weißen Strukturreliefs von Jan Schoonhoven (1914-94
Delft). Der Künstler schuf aus Papier und Pappe Objekte, die aus quadratischen Waben bestehen. Trotz ihrer formalen Strenge, des einfachen, wiederkehrenden, sich vervielfachenden Motivs,
entfalten sie eine zutiefst poetische, meditative Wirkung.
Im Gegensatz zur rhythmisierten und repetitiven Arbeitsweise der Faltungen, die am Webstuhl entstehen, enthüllen die Collagen einen ganz anderen, nämlich den experimentellen Aspekt in Baberskes Schaffen. Hier „fallen“ Fäden und kommen auf dem Grund zu liegen. Dennoch scheinen sie zu tanzen, drehen und winden sich. Sie erinnern an die scheinbar so beiläufigen Notate, Zeichen, Kritzeleien und Skript-Fragmente in Cy Twomblys (1929 Lexington/Virginia - 2011 Rom) Bildern. Dass Fäden oder Schnüre hier hinter Gaze in Zwischenbereichen fixiert und damit unserem „Zugriff“ entzogen sind, macht die Sache noch spannender. Diese Arbeiten sind im Rahmen eines Symposiums, einer „Art Challenge“ entstanden, bei der innerhalb von wenigen Minuten Kunstwerke geschaffen wurden. Was aber auch in diesen Arbeiten erneut sichtbar wird, ist, dass jede Überlagerung oder Kreuzung eine Begegnung, ein Ereignis sein kann.
Beate Baberske setzt Fäden, Schnüre, Seile, Bänder als Verbindung einzelner Elemente ein. Sie können „schnurgerade“ gespannt sein und exakten Ordnungen folgen. Sie können sich zu Flächen verdichten, aus tieferen Schichten auftauchen, unerwartete Verläufe nehmen oder als farbiger „Pinselschwung“ agieren. Fäden und Schnüre, die parallel liegen oder sich in unterschiedlichsten Winkeln kreuzen, ergeben ein lineares, grafisches „Geflecht“. Sie erobern eigene Räume und haben eine greifbare Plastizität.
Je nach Technik und Häufigkeit der Wiederholung kann sich die räumliche Tiefe einer Wicklung steigern, wenn sie sich von der Fläche am Rand durch die Kreuzungen in der Mitte immer plastischer in den Raum wölbt. Dabei wird deutlich, dass es sich bei den Wicklungen nicht nur um die technische Verbindung zweier Gegenstände handelt, sondern um ein weiteres, entscheidendes Element jedes Kunstobjekts.
Beim Nachdenken übers Wickeln ist mir aufgefallen, dass mich das Wickeln schon lange begleitet. In meiner Kindheit habe ich beim Auftrennen alter
Pullover Wolle wickeln gelernt. Die Wolle war als dreifacher Faden verarbeitet und sollte jetzt als einfacher Faden wieder verwendet werden. Mit meiner Mutter und Oma
gleichzeitig ein Knäuel wickeln... Ich hab mächtig geschwitzt, weil ich genauso schnell sein musste/wollte wie die beiden Erwachsenen. Ziemlich oft ist das Knäuel durch die Stube gerollt. Die
Muster, die der Faden auf dem Knäuel machte, waren damals schon faszinierend...Für diese Arbeit* habe ich meinem Sohn das Wolle wickeln beigebracht. Wieder hüpfte das Knäuel durch das Zimmer…
(Beate Baberske)
Je weiter man sich in das Werk der Künstlerin vertieft, um so mehr bemerkt man, dass es keine Nebensächlichkeiten gibt, selbst dann nicht, wenn etwas zufällig
entstanden ist.
Alles wirkt sich aufeinander aus, alles nimmt Einfluss. Ob Fäden, Schnüre oder Bänder wohl geordnet neben einander liegen, rhythmische Abstände bilden, auf welcher
Ebene sie sich begegnen, all das verändert die Wirkung eines Objekts. Es macht eben einen Unterschied, ob die Enden einer Wicklung lose herabhängen, geknotet, sichtbar oder verborgen sind.
Wie bedeutend gerade solche Details für das jeweilige Werk sind, veranschaulicht selbst eine kleine Arbeit. Ein Wollfaden wird um Stecknadeln, die an den Schmalseiten die Mitte eines blau bemalten Rechtecks markieren, auf und ab geführt. Ingesamt sechs Lagen des in sich gedrillten Wollfadens überlagern sich im Zentrum. Der Faden bildet zugleich eine weiße grafische Lineatur und eine plastische Struktur mit „fühlbarer“ Textur.
Diese tritt ihrerseits mit dem lebendigen Farbauftrag des blauen Körpers in Zwiesprache. Auch hier nehmen wir Botschaften wahr, die nicht nur unseren Sehsinn,
sondern vor allem auch die taktile Wahrnehmung ansprechen. Die Weichheit des Fadens, die getrocknete blaue Farbe und die feinen spitzen Nadeln aus Metall. Auch hier tritt zutage, dass nichts,
weder die verwendeten Nadeln, noch die zwischen Hell- und Mittelblau changierende Farbe oder die Art und Weise, wie die Enden des Fädchens hinter einer Nadel seitlich zu liegen kommen, beliebig
ist, sondern – ganz im Gegenteil – zentral für die Wirkung dieser Arbeit.
Beate Baberske denkt das Thema Verbindungen aber weitaus komplexer als die rein technisch funktionale Vereinigung von Material.
Indem sie gebrauchte Gegenstände einsetzt, seien es ehemalige Tischplatten, die zersägte Rückwand eines Schranks, der nach einem Umzug nicht mehr gebraucht wird
oder ausrangierte Urlaubsfotos, verwendet sie Dinge mit einer Geschichte. Diese Gegenstände weisen nicht nur Gebrauchsspuren auf, sie haben auch eine Rolle im Leben der Künstlerin gespielt. Sie
sind nicht nur als Kunstwerk, sondern auch durch das Erlebte mit der Künstlerin verbunden. Allerdings werden den Gegenständen nun neue Rollen zugewiesen. Sie nehmen eine völlig andere Funktion
ein und können dementsprechend neu betrachtet werden.
*„Zweiundzwanzig Meter reloaded“ Holzplatte, Eisenrundstange, Seil, 100cm x 160cm x 9 cm
meine größte Readymade-Arbeit, die Platte hat letzten Sommer auf dem Balkon als Tischplatte gedient…
Diese Art von Stange verwende ich beim Weben für den Anfang und das Ende der Webstücke.
Die Seile sind zwei von vier Seilen, an denen die Installation AN GE SICH T hing. Daher kommen die farbigen Klebeband-Markierungen und der Name. Ich verwende
immer das Material so, wie es gerade kommt. Schon immer habe ich den Drang verspürt, Dinge aufzubrauchen. Das ist nicht nur in der Kunst so, sondern auch bei Marmelade-Gläsern... Das ist nicht
nur die Motivation bei den Garnrollen-Resten, sondern auch bei den Objekten selbst. Mich interessieren nicht die „jungfräulichen“ Flächen, sondern die mit Geschichte. Den scheinbar wertlosen,
abgenutzten, verbrauchten Dingen einen neuen Sinn geben, indem sie in einen neuen Dialog zueinander treten. In einer völlig neuen Konstellation. (Beate Baberske)
Etwas wieder zu verwenden, bedeutet nicht nur den Rohstoff wert zu schätzen, sondern auch, sich mit dessen Rolle in der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen,
mit Kindheitserinnerungen oder persönlichen Erfahrungen. Dieses Neuerleben und Neusehen wird auch zur Erfahrung für den Betrachter. Und so verhält es sich ähnlich wie bei den Collagen mit den
seidenen Stofffeldern. Auf den ersten Blick sind deren Farbigkeit, die Kombination der Stoffe, eine Abrisskante mit weichen, feinen Fädchen die prägenden Elemente. Aber es macht einen
Unterschied, unter welchem Licht und von welchem Standpunkt oder Winkel aus man auf sie blickt.
Fäden, die sich kreuzen und ein Gewebe bilden, sind auch im übertragenen Sinn ein starkes metaphorisches Bild. Unwillkürlich tauchen Gedanken an Arachne, die
Weberin aus Ovids Metamorphosen, an Parzen und Nornen, die Schicksalfäden spinnen, auf.
Verbunden, verwoben und verflochten sein: Die aus der Textilproduktion entlehnten Worte zeigen, wie prägend dieser Bereich auch kulturgeschichtlich ist. Kaum etwas
scheint geeigneter als Worte aus diesem Kontext um Analogien vom Alltäglichen ins Existentielle zu ziehen.
Es geht Beate Baberske aber auch ganz real darum, den „Dingen auf den Grund“ zu gehen, deren Wurzeln freizulegen, sie zu durchdringen, zu entwirren, zu ent-wickeln
um sie dann, wie sie selbst formuliert, wieder in einen neuen Dialog treten zu lassen. Das zeigen auch ihre ganz „großen“ Arbeiten, die Raum-Installationen „ROT“ in der Nürnberger Kirche St.
Lorenz (2008) und AN GE SICH T in der Berliner Reformationskirche (2017).
Wie kann es gelingen, Kirchenräume neu zu sehen, neu zu erleben? Wie kann eine Gemeinde sich ihre Kirche wieder neu aneignen? Die künstlerischen Antworten
von Beate Baberske sind denkbar unterschiedlich und jeweils sensibel auf die spezifische Situation vor Ort abgestimmt.
Sich verjüngende Stoffbahnen in abgestuften Rottönen akzentuieren in der Pfingstwoche den Innenraum von St. Lorenz. Sie fokussieren die Konzentration
innerhalb des Sakralraums.
Der in der Berliner Reformationskirche installierte Textilkubus und eine Veranstaltungsreihe luden die Mitglieder der Gemeinde zu konkreten Nutzungen (Tanz,
gemeinsames Essen, Spiel) ein. So wurde ein transparenter Raum im Raum geschaffen. Die zarten Stoffbahnen, die ihn optisch umfingen, zeigten Bewegungen und Schwingungen an, die von einem Luftzug
oder von Menschenhand ausgelöst wurden.
Eine Ent-Wicklung vergleicht einen Zustand mit einem Vorangegangenem, setzt vorher „Da - Gewesenes“ voraus. Das kann, muss aber nicht, mitgedacht werden. Es kann
dazu beitragen, Beate Baberskes Motivation und ihre künstlerische Position einzuordnen.
Die formale Schlüssigkeit und Komplexität ihres Werks benötigt das nicht. Es besteht für sich.
Beate Baberske ist 1973 in Görlitz geboren - Von 1992-1996 Studium der Angewandten Kunst in Schneeberg (Westsächsische Hochschule Zwickau, Abschluss als Diplomdesignerin Textilkunst) - Seit 1996 arbeitet sie in der Paramentik in Neuendettelsau, seit 2015 als künstlerische Leiterin - 2016 Beginn der Lehrtätigkeit an der Fachoberschule für Gestaltung am Löhe Campus - 2008 Rauminstallation „ROT“ in St. Lorenz, Nürnberg - 2017 Rauminstallationen AN GE SICH T, Reformationskirche Berlin